Tor ins Paradies – Wien

Wie sonst nirgendwo in dieser Stadt treffen sich hier die zwei Seiten der Medaille. Die Angst tanzt Hand in Hand mit der Lust. Hier hat sie Urlaub, die viel gerühmte Morbidität der Stadt. Nichts macht glücklicher als die Kugel die einen knapp verfehlt. Hier spielt man gerne russisches Rollett. Steigt zu Höhenflügen auf, stürzt ab, ganz ohne Wunden. Die Schreie trägt der Wind noch Kilometer weit fort

Der fahle Goldstaub der Nostalgie schwebt über dem Gelände. Ringelspiele aus längst vergangener Zeit ächzen wie in die Jahre gekommene Gigolos ihre Wege hinauf und hinab. Pferde laufen mit üppig verzierten Kutschen im Schlepptau ihre Runden – längst haben sie vergessen, wie sich der Wind in der Mähne anfühlt, wenn sie über freies Gelände galoppieren. Belohnt werden sie durch Kinderherzen, die vor Freude fast zu platzen drohen.

Es riecht nach rosa Zuckerwatte und nach Bier. Vergnügungssüchtige junge Menschen laufen etwas zu bemüht gestyled umher auf der Suche nach dem Kick. Sehen und gesehen werden ist auch hier die Devise. Und zeigen wie cool man ist. In den Lokalen werden Sparerips, Grillhendl und Stelzen im Akkord vernichtet, das Bier geht hier niemals aus. Wer Lust hat auf weitere körperliche Gelüste wandert ein bisschen weiter und findet dort reichlich weibliche Angebote. Tausende von unsichtbaren Spuren trägt die breite Allee in sich, Radfahrer, Jogger, Skater. Alte, Junge, Kinder, Verliebte, Einsame, Erholungsbedürftige – sie alle tröstet das üppige Grün, stärkt sie und beruhigt die stadtgeschädigten Nerven.

Und manchmal scheint die Welt für einen Augenblick still zu stehen. Die Elemente vereinigen sich, der Himmel belohnt uns mit einem bunten Tor ins Paradies. Das Leben ist schön.

Andrea Cuny-Pierron ist Autorin und Bloggerin. Sie lebt in Wien.

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